„The 8 Show“ aus Südkorea bei Netflix: Um im Spiel zu bleiben, gehen sie über Leichen (2024)

Dass koreanische Fernsehserien über Realityshows in düstere Abgründe führen, weiß man spätestens seit „Squid Game“, dem Netflix-Hit von 2021 von Hwang Dong-hyuk. Darin konkurrieren mehr als vierhundert Menschen, die knapp bei Kasse sind, um das Preisgeld einer vermeintlich harmlosen Spieleshow, die sich als Wettbewerb auf Leben und Tod entpuppt. Die zweite Staffel soll Ende des Jahres erscheinen, außerdem ist eine höchst umstrittene US-Fassung unter der Regie von David Fincher in Arbeit. Wer nicht so lange nicht warten will, der kann sich mit der „8 Show“ über die Zeit retten.

Abermals ist die südkoreanische Verschuldungskrise – dem „Korea Herald“ zufolge war die durchschnittliche Haushaltsverschuldung 2022 doppelt so hoch wie das verfügbare Einkommen – Hintergrund einer Geschichte, in der sich acht verzweifelte Teilnehmer einer Realityshow mit Aussicht auf phantastischen Gewinn aus dem finanziellen Loch zu kämpfen hoffen. Die Hauptfigur Jin-su (Ryu Jun-yeol) ist einem Kredithai auf den Leim gegangen und im Begriff, von einer Brücke zu springen, als ihn ein unwiderstehliches Angebot erreicht: die Teilnahme an einer 24 Stunden währenden Show, in der er mit seiner bloßen Anwesenheit viel Geld verdienen kann: Das Preisgeld wächst mit dem Verstreichen der Zeit. Wer würde da nicht mitmachen, zumal, wenn es sich um 3000 Dollar pro Stunde handelt? Jin-su bezieht sein Zimmer in der dritten Etage des achtstöckigen Filmsets – ein Raum ohne jede Einrichtung, abgesehen von einem Lieferaufzug und der digitalen Anzeige seines schwellenden Gewinns.

Die Konsequenzen ungleicher Ressourcenverteilung

Die Regeln dieser Show, so stellt Jin-su fest, sind schlicht: Wer sie bricht, bezahlt mit der Hälfte seines Gewinns, ein Entkommen für die Dauer der Show gibt es nicht. Über ein Telefon kann man alles Erdenkliche bestellen, allerdings – Seitenhieb auf Koreas hohe Inflationsrate – zu einem Wahnsinnspreis.

Die Figurenzeichnung von „The 8 Show“ ist ebenfalls simpel: Da ist unter die arrogante Prinzessin (Chun Woo-hee) im achten Stock (statt beim Namen nennen sich die Teilnehmer nach ihrer Etagenzahl), der Grobian im Sechsten (Park Hae-joon), der Denker im Siebten (Park Jeong-min), die Kämpferin im Zweiten (Lee Joo-young), der Gehbehinderte im Ersten (Bae Sung-woo). Freilich geht es hier nicht um eine Charakterstudie. Der Clou ist, dass die jeweilige Etage, von den Teilnehmern zufällig gewählt, auch die Opulenz der Zimmer und die Höhe der Gewinnsumme bestimmt, und dass Dinge, die im Gemeinschaftsbereich bestellt werden, die Zeit beschneiden, in der man Gewinne anhäuft. Bald überschlagen sich die acht in ihren Bemühungen, die Uhr und damit das Wachstum des Preisgelds nur ja weiterlaufen zu lassen. Man ahnt es: Das „Spiel“ wird zu einer düsteren Parabel auf die Konsequenzen ungleicher gesellschaftlicher Ressourcenverteilung. Der gemeinsame Nenner hier ist die Gier der acht Teilnehmer, und als diese endlich von der Vernunft eingeholt wird, fließt bereits Blut – und die sinistre Show zu stoppen ist noch schwieriger, als sie am Laufen zu halten.

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Natürlich ist dies ein Kommentar auf die Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken und den ihr oft innewohnenden Sadomasochismus („Im echten Leben habe ich ein Herz, aber hier dreht sich alles um eine gute Show“, sagt eine der Kandidatinnen während des zunehmend brutalen Handlungsverlaufs). Es ist auch ein Blick auf Profitzwang als treibendes Element sozialen Verfalls, von Ausbeutung, Konflikt und Verrat. Man kann „The 8 Show“ als zeitgenössische politische Parabel lesen oder als eine Art „Herr der Fliegen“ 2024.

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Die Serie basiert auf den Web-Cartoons „Money Game” und dessen Nachfolger „Pie Game“ von Bae Jin-soo (dem Namenspaten der Hauptfigur), und der Regisseur Han Jae-rim („The King“, „The Face Reader“) hat seine achtteilige Serie in entsprechender Ästhetik angelegt. Figuren und Handlung wirken überhöht, realistisch scheinen allein die im 4:3-Format gefilmten Sequenzen, die außerhalb des Showsets stattfinden: Einblicke in die Hintergrundgeschichten der Figuren. Überhaupt bedient sich Han wirksam verschiedener filmischer Mittel, um seine Handlung zu rahmen, und „The 8 Show“ strotzt nur so von der Erfindungslust, die koreanische Filmemacher kultiviert haben. Das Ganze eine schwarze Komödie zu nennen, trifft die Sache ebenso wenig wie das Etikett Horrorserie. Die Frage ist hier, wie lange man sich das mitansehen will – und wann man sich zum Abschalten gehalten sieht.

The 8 Show läuft bei Netflix.

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Author: Prof. Nancy Dach

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